Samstag, 24. Januar 2009
 
Doppelmord an Roma in Ungarn PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Dienstag, 4. November 2008

Zwei Roma wurden in der Nacht auf Montag in der ostungarischen Ortschaft Nagycsecs ermordet. Bisher unbekannte Täter hatten Häuser mit Molotow-Cocktails beworfen. Eines davon fing Feuer.

Als die Bewohner, zwei Männer eine Frau und ein Kind, aus dem brennenden Gebäude eilten, kamen sie unter Beschuss von Schrotflinten. Ein 43jähriger Mann und die 40jährige Frau sind tot, der andere Mann erlitt Schussverletzungen. Soweit die Fakten, die Montag Abend von einem Polizeisprecher in der Bezirkshauptstadt Miskolc bestätigt wurden.

Die liberale Europa-Abgeordnete Viktoria Mohacsi, die Stunden nach der Tat am Ort des Verbrechens eine Pressekonferenz gab, forderte die Behörden auf, "rassistische Motive nicht von vornherein ausschließen". Mohacsi gehört selbst der Minderheit der Roma an und ist über zunehmende rassistische Ausschreitungen besorgt. Justiz- und Polizeiminister Tibor Draskovics versprach, den "Fall von außerordentlicher Bedeutung" sehr ernst zu nehmen. Beweis dafür ist die Bildung einer Sonderermittlungsgruppe durch die Polizei.

Ein rassistischer Hindergrund für den Doppelmord drängt sich auf. Vor allem in Ostungarn, dem am wenigsten entwickelten und ärmsten Teil des Landes, haben sich Attacken mit Brandsätzen auf Ansiedlungen der Roma gehäuft. Bei der Ausforschung der Täter zeigte die Polizei bisher wenig Eifer, denn in der Gesellschaft herrscht eine rassistische Grundstimmung, die von einigen rechten Tageszeitungen noch geschürt wird. Das Komitat Borsod-Abaúj-Zemplén, wo sich das Verbrechen ereignete, gehört zu den ärmsten. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Regionalpolitiker lassen sich immer wieder neue legale Tricks einfallen, wie sie den Roma die Arbeitslosenhilfe oder das Kindergeld streichen können. Die weitere Verelendung der ohnehin schon ausgegrenzten Minderheit ist die Folge. Viele Bauern können vom Ertrag ihrer Äcker kaum leben und reagieren besonders aggressiv auf den Mundraub durch die Roma, die regelmäßig Feldfrüchte stehlen. Ein Bauer, der kürzlich seinen Zaun mit 220 Volt unter Strom setzte und damit einen Rom tötete, genießt hohe Popularität.

Mit zwischen fünf und sieben Prozent der zehn Millionen Einwohner hat Ungarn eine der größten Roma-Gemeinden Europas. Die mit dem EU-Eintritt verstärkten Programme zur Förderung der Roma greifen kaum und verstärken eher noch das aggressive Klima in der Bevölkerung. Im vergangenen Juni waren drei Roma-Häuser in Patka, westlich der Hauptstadt Budapest, Ziel eines Brandanschlags. Im Juli wurden drei Häuser von Roma im Dorf Galgagyork, nahe Budapest, beschossen, wie die Nachrichtenagentur MIT meldete. Menschen kamen aber dabei nicht zu Schaden.

Für die Morde in Nagycsecs gibt es allerdings eine zweite Erklärung, die in Medienkreisen verbreitet wurde. Es könnte die Tat skrupelloser Geldverleiher gewesen sein, die sich an zahlungsunfähigen Klienten gerächt hätten.

In der Gegend sind auch die meisten Ungarn zu arm, um an einen Bankkredit zu kommen. Für die Roma sind die Wucherer die einzige Finanzierungsquelle. Allerdings nehmen sie Zinsen von bis zu 250 Prozent – monatlich! Das ist natürlich illegal. Um sich gegenüber der Polizei zu decken, geben sich die Geldverleiher neuerdings als Wohltäter humanitäter Organisationen aus. Sie vergeben keine Barkredite mehr, sondern strecken Nahrungsmittel oder Zigaretten vor und kassieren später exorbitante Preise dafür.

Daß die Wucherer beim Eintreiben ihrer Außenstände nicht zimperlich sind, ist bekannt. Sollte der Doppelmord tatsächlich auf ihr Konto gehen, wäre das eine neue Qualität der rassistischen Kriminalität in Ungarn.

weiter >